Vor 75 Jahren: Wiederbegründung des BBVV

Borbecker Bürger- und Verkehrsverein geht auf das Jahr 1910 zurück

05.04.2024

BORBECK. Anfang April 2024 jährt sich die Wiederbegründung des Borbecker Bürger- und Verkehrsvereins (BBVV) vor 75 Jahren. Noch zahllose Trümmer prägten damals das vom II. Weltkrieg verwüstete Stadtbild, als beherzte Bürger 1949 einen Neuanfang für die bereits 1910 ins Leben gerufene Initiative wagten. (1) Schauplatz war damals das Lokal van der Mee an der Ecke Marktstraße/Richtstraße in Borbeck-Mitte, früher Parfümerie Mikus, heute Optik Breiderhoff. (2)

1949: Versammlung im Lokal van der Mee

Diese Nachricht verdankt sich der allerersten Ausgabe der BORBECKER NACHRICHTEN (BN) vom 8. April 1949: Wilhelm Wimmer aus Dellwig hatte gerade eine der ersten Lizenzen für eine Wochenzeitung erhalten und ihr den Untertitel „Mitteilungen der Borbecker Bürger- und Verkehrsvereine, Heimatvereine und angeschlossene Vereinigungen” gegeben. Sie berichtete:

„Einem vorbereitenden Ausschuss, der sich aus der Bürgerschaft Borbecks gebildet hatte, war es vorbehalten, zur Wiederbegründung des Borbecker Bürger- und Verkehrsvereins im Lokale van der Mee einzuladen. Nach einem kurzen Rückblick auf die Geschichte des Borbecker Verkehrsvereins kamen alle Anwesenden zu dem Entschluss, den Verein wieder ins Leben zu rufen.

Die neue Satzung stützt sich im wesentlichen auf die Paragraphen, die bis zum Jahre 1932 Gültigkeit hatten. Danach verfolgt der Verein den Zweck, Verkehr, Handel und Wohlfahrt im Stadtteil Essen-Borbeck zu fördern. Die Verfolgung satzungsfremder Erwerbzwecke sowie religiöser, politischer und sozialpolitischer Zwecke ist von der Tätigkeit des Vereins ausgeschlossen. Die Mitgliedschaft steht jedem unbescholtenen Staatsbürger offen, ferner jeder Personenvereinigung des privaten und öffentlichen Rechts. Für besondere Aufgaben werden Arbeitsgruppen gebildet werden.“

Schon damals strebte der Verein eine breite Mitgliederbasis an: Der Mitgliedsbeitrag wurde auf eine D-Mark jährlich festgesetzt wurde - „um wirklich jedem die Möglichkeit des Beitritts zu geben“. Korporationen, Vereinigungen und größere Firmen sollten einen vom Vorstand festgesetzten Betrag zahlen, der „der Bedeutung des Mitgliedes entsprechen soll“. Die Vorstandwahlen ergaben: „1. Vorsitzender Herr Wimmer, 2. Vorsitzender Herr Rechtsanwalt Kohlmann, Schriftführer Herr Ingenieur Allner, Kassierer Herr Giesenkirchen. In den Ausschuss für besondere Aufgaben wurden die Herren W. Denné (Bau), van der Mee (Gastwirte), Korsch jr. (Handel), Beckmann (Sport) gewählt.“ Der Vorstand werde nur kurz - voraussichtlich bis zum 2. Mai - im Amt bleiben, so war zu lesen, denn für diesen Tag war eine größere Versammlung geplant, in der sich der Verein der Öffentlichkeit vorstellen und seine Pläne unterbreiten wollte. (Quelle: BORBECKER NACHRICHTEN, Nr. 1/ 08.04.1949)


Erste Ausgabe der BORBECKER NACHRICHTEN - damals mit dem Untertitel „Mitteilungen der Borbecker Bürger- und Verkehrsvereine, Heimatvereine und angeschlossene Vereinigungen”, rechts: Gaststätte Vogelpoth, Ecke Marktstraße und der Stolbergstraße, 1910 Gründungslokal des Borbecker Bürger- und Verkehrsvereins (BBVV)

„Was die Heimat von den Menschen verlangen kann ...“

Diese erste größere Versammlung fand tatsächlich am 2. Mai 1949 in der Gaststätte van der Mee statt. Stadtoberbaurat Müller und Herrn Groß vom Stadtplanungsamt sprachen dabei als Gastredner über Verkehrsführung, Straßenbau, Siedlungen und Sportstätten. Das berichtet - fast auf den Tag genau vier Jahre nach dem Kriegsende - der BN-Artikel in der 5. Ausgabe am 6. Mai 1949: „Im Dienste der Heimat. Nach 15jähriger Zwangspause wieder Bürger- und Verkehrsverein in Borbeck“. Dabei wurde der vorläufige Vorstand von der Versammlung durch Wahl im Amt bestätigt, zu Beiratsmitgliedern wurden die Herren Altenkamp, Oberholz, Feugmann und Bunte gewählt. Der Bericht in den Borbecker Nachrichten schloss mit den Worten:

„Wenn auch einzelne Anwesende nach 15jähriger Zwangspause des örtlichen Vereinslebens noch manches als fremd erschien, so wurde doch stark deutlich, dass der Verein, gestützt auf den Heimatsinn und die Heimatliebe seiner Mitglieder, mit allen berufenen Instanzen gewillt ist, im Dienste der Heimat das zu tun, was sie letzten Endes von den Menschen verlangen kann.“ (Quelle: BORBECKER NACHRICHTEN, Nr. 5 / 06.05.1949, S. 3)

Ein knappes Jahr später tagt der Verein 1950 zur Jahreshauptversammlung im Café Oberholz – dort ist heute das Restaurant Dubrovnik. Es geht dabei um sehr praktische Fragen, die noch ganz dem Wiederaufbau Borbecks nach dem Krieg verpflichtet sind. Zu den Themen gehören das Amtsgericht, Schlosspark, Deutsche Boxmeisterschaften, Bahnhof, Straßenbau, Verkehr, Stadthafen, Fliegenbusch und Fernmeldeanlagen. Bei den Neuwahlen wird Kaufmann Theodor Schalkamp zum 1. Vorsitzenden gewählt, sein Vertreter wird Rechtsanwalt Hubert Kohlmann, Schriftführer Hans Wächter, Kassierer Herr Giesenkirchen. Vertreter sind Herr Arning und Herr Beckmann. Beisitzer: Bunte, Rex, Feugmann, Altenkamp, van der Mee, Fuhrmeister, Lang, Frl. von Leskie, Hardeck, Peters, Paßmann, Rautenberg, Oberholz und Wimmer. (Quelle: BORBECKER NACHRICHTEN, Nr. 14, 31.03.1950).


Lage der Gaststätte Vogelpoth, Gründungslokal des BBVV

50-jähriges Bestehen: „Den Gedanken der Selbstverwaltung festigen“

Im November 1960 erinnert die Bürgerinitiative an ihre Gründung 50 Jahre zuvor. Sie hatte 1910 im Lokal Vogelpoth an der Gabelung der heutigen Marktstraße und der Stolbergstraße stattgefunden. „Borbecks Anliegen immer tatkräftig vertreten. Bürger- und Verkehrsverein feierte 50jähriges Bestehen - Gregorius brachte Ständchen“ hieß es in den BORBECKER NACHRICHTEN (BN 46/1960 v. 11.11.1960):

„Seines 50jährigen Bestehens gedachte der Borbecker Bürger. und Verkehrsverein am Mittwochabend im Anschluß an eine Aussprache über wichtige Tagesfragen (Siehe Seite 1) in einer fröhlichen Feier, die Borbecks ältester Männergesangverein Gregorius mit schwermütigen Heimatliedern eröffnete. Emil Schramme - Gregorius-Vorsitzender - ließ es sich nicht nehmen, dem Vorstand einen prächtigen Chrysanthemen-Strauß zu überreichen und gleichsam stellvertretend namens der Bürgerschaft Dank zu sagen für die oft mühselige Arbeit, die der Bürger und Verkehrsverein zum Wohle Borbecks ein halbes Jahrhundert hindurch geleistet hat.“

Der Bericht unterstreicht, dass dem Verein auch von der Stadt durchaus politisches Gewicht beigemessen wurde:

„Herzliche Glückwünsche überbrachte Bezirksamtsleiter Oberamtmann Wilhelm Böning, der die erfolgreichen Leistungen des Geburtstagskindes rühmte und der Hoffnung Ausdruck gab, daß auch künftig eine gute Zusammenarbeit mit Bürgerausschuß und Stadtverwaltung und Stadtverwaltung dazu beitragen möge, den Gedanken der Selbstverwaltung zu festigen. „Heute, da die Gewalt vom Volke ausgehen soll, ist die Mitarbeit eines jeden Bürgers eine Selbstverständlichkeit. Rat und Verwaltung begrüßen diese Mitarbeit", sagte W. Böning, „weil sie bemüht sind, den demokratischen Gedanken in den letzten Winkel unserer Stadt zu tragen", so der Bericht der BORBECKER. Er fährt fort:

„Vereinsvorsitzender Rechtsanwalt H. Kohlmann erinnerte an das Wirken der einstigen Vorsitzenden, an den verdienstvollen Gründer Prof. Dr. Pabst und an die Erfolge, die der Bürger- und Verkehrsverein namentlich im letzten Jahrzehnt zu verzeichnen hatte. „Wir dürfen in unserem Bestreben nicht erlahmen, die Trabantenstadt Borbeck nachhaltig zu vertreten", sagte H. Kohlmann. „Dabei haben wir keine Rücksichten zu nehmen. Die Stadtväter sollen nicht meinen, dass wir Revolutionäre seien. Wir haben uns immer davon leiten lassen, ein gutes Einvernehmen mit der Stadt anzustreben. So soll es auch weiterhin bleiben!"

Viele Stunden saß alt und jung dann noch in gemütlicher Runde beisammen, wobei Erinnerungen an einst ausgefochtene Sträuße aufgefrischt und der Vorsatz bekräftigt wurde, sich auch fernerhin für Borbecks Wohl einzusetzen. Sechs Glas Gerstensaft pro Person wurden zu Lasten der gut gefüllten Vereinskasse bewilligt.“


Dr. Carl Heinrich Pabst, der erste Vorsitzende des BBVV 1910, als Mitglied des Kollegiums am Gymnasium Borbeck 1921: (v.l.) obere Reihe: Siefers, Becker, Schickert, Wolpers, Lorbach, untere Reihe: Brehmen, Dr. Voß, Dr. Klein, Dr. Cüppers, Roeskens, Dr. Pabst, Hagemann, Dr. Isbert, Mausbach, Gunkel. Der Verein engagierte sich in den I920er-Jahren gemeinsam mit anderen örtlichen Verkehrsvereinen unter anderem in schulpolitischen Fragen. 1934 erfolgte die Zwangsauflösung.

Mitverantwortung für die öffentlichen Dinge“

Der von Wilhelm Wimmer (1949) auf Theodor Schalkamp (1950) und Rechtsanwalt Hubert Kohlmann (1952) übergegangene Vorsitz des BBVV wechselte 1967​ zu Kaufmann Fritz Brüggemann, der das Amt 20 Jahre lang innehatte. 1987​ wurde Dr. Jürgen Marsch zum 1. Vorsitzenden gewählt, 1998​ Thomas Isermann und 2006 Dr. Wolfgang Sykorra. Auf Rechtsanwalt Tobias Degener (2008) folgte 2012 erneut​ Thomas Isermann. 2014​ wurde Susanne Asche zur Vorsitzenden gewählt und im März 2024 in ihrem Amt erneut bestätigt.

Die Themen, die in diesen Jahrzehnten die Agenda des Borbecker Bürger- und Verkehrsvereins bestimmten, blieben und bleiben weiter vielfältig: Es ging um die ​Dubois-Arena, Schloss Borbeck, die Sanierung Borbecks, um den ​​Erhalt der Krankenhäuser, von Kulturzentrum, Standesamt und Traubereich, um Sauberkeit und Sicherheit in Borbeck, ​Amtsgericht, Masterplan oder Hallenbad. Feste große Veranstaltungen wurden die Borbecker Maienmahlzeit und der Borbecker Weihnachts-Markttag, vor fünf Jahren kam als Fortsetzung der 2019 eingestellten BORBECKER NACHRICHTEN das ehrenamtlich betriebene Internetportal www.borbeck.de dazu.


Vorstand und Beirat des BBVV 2021, (v.l.) Lars Schnor, Margarete Roderig, Fritz-Ludger Brüggemann, Franz Josef Gründges, Susanne Asche, Walter Frosch, Pater Otto Nosbisch, Dr. Christof Beckmann, nicht im Bild: Dagmar Schilli-Frank

Damals wie heute sieht sich der Borbecker Bürger- und Verkehrsverein der Heimatpflege, Heimatkunde und Förderung heimatlichen Brauchtums verpflichtet, setzt sich vor allem für den Ausbau und die Stärkung der sozialen und kulturellen Infrastruktur im Stadtteil ein und will das bürgerschaftliche Miteinander lebendig halten (vgl. Neufassung der Vereinsatzung vom März 2016). „Von einem starken „bürgerschaftlichen Geist getragen, ging und geht es im besten Sinne um demokratische Mitverantwortung für die öffentlichen Dinge“, resümierte zum 111-jährigen Bestehen 2021 Franz Josef Gründges, der 42 Jahre lang die Geschäftsführung des BBVV innehatte.

Christof Beckmann


Vorstand des BBVV im Jahr 2022, (v.l.) Jan Flügel (Geschäftsführer), Susanne Asche (1.Vorsitzende), Franz Josef Gründges, Dagmar Schilli-Frank (Schatzmeisterin), Dr. Christof Beckmann (2.Vorsitzender)

Anmerkungen:

(1) Vorausgegangen war bereits 1889 die Gründung einer Vorgänger-Organisation mit ganz ähnlichen Vereinszwecken. Darüber berichtete die ESSENER VOLKSZEITUNG: „Borbeck, 24. April. Unsere misslichen Eisenbahnverhältnisse, sowie einige sonstige Vorgänge auf gemeinnützigem Gebiete aus der letzten Zeit haben einige angesehene Bürger veranlasst, auch hier einen Verein zur Wahrung gemeinnütziger Interessen ins Leben zu rufen. Der Verein soll den Namen „Bürgerverein Borbeck“ erhalten und den Zweck verfolgen, gemeinnützige Angelegenheiten zu besprechen, darauf bezügliche Anträge zu berathen, beziehungsweise zu vertreten. Jeder zur Gemeinderathswahl berechtigte Bürger Borbecks kann Mitglied des Vereins werden und soll der jährliche Beitrag nur eine Mark betragen. Die Versammlungen werden jeden ersten Mittwoch im Monat abgehalten und findet die nächste Besprechung am Mittwoch, den 1. Mai, im Hotel Jehly (1. Etage) statt. An diesem Abend sollen die provisorisch aufgestellten Statuten aufgenommen, der Vorstand gewählt, sowie das Vereinslokal bestimmt werden. Bei der Wichtigkeit des heute schon vorhandenen Materials und bei dem Interesse, welches dem erst im Entstehen begriffenen Verein von allen Seiten entgegengebracht wird, ist demselben ein rasches Aufblühen gesichert.“ (ESSENER VOLKSZEITUNG vom 26. April 1889)
Eine knappe Woche später heißt es dort: „Borbeck, 2. Mai. Wie bereits früher gemeldet wurde, beabsichtigte eine Anzahl hiesiger Bürger, wie es anderswo geschehen, so auch hierorts einen Bürgerverein zur Wahrung kommunaler Interessen zu gründen. Nachdem bereits einige Vorbesprechungen vorhergegangen, wurde der Verein am gestrigen Abende [1. Mai 1889] von einer ziemlich zahlreichen Versammlung im Hotel Jehly definitiv gegründet und sofort die im Entwurf vorliegenden Statuten durchberathen und mit unwesentlichen Abänderungen genehmigt. Mitglied kann jeder unbescholtene großjährige Bürger Borbecks gegen Entrichtung eines Jahresbeitrages von M. 1,50 werden. Am ersten Mittwoch eines jeden Monats finden die regelmäßigen Vereinsversammlungen statt. Als Vereinslokal für das Jahr 1889 wurde der obere Saal des Wirths Fritz Hausmann gewählt. Die sodann durch Stimmzettel vorgenommene Vorstandswahl hatte folgendes Ergebniß: Erster Vorsitzender Apotheker Rudolf Baum, zweiter Vorsitzender Bankdirektor Heinr. Hollmann. Erster Schriftführer Kaufmann Peter Karl vorm Walde, stellv. Schriftführer Auktionator Karl Vöcklinghaus. Rendant Sparkassenrendant Clemens Pothmann und als dessen Stellvertreter Kaufmann Friedrich Körntchen. Möge der Verein, dem wir eine zahlreiche Mitgliedschaft wünschen, erfolgreich thätig sein zum Heile und Segen der Gemeinde Borbeck!“ (Essener Volkszeitung vom 2. Mai 1889, der Vorsitzende Rudolf Braun betrieb seit 1856 die Borbecker Adler-Apotheke)

(2) Die Gaststätte hieß nach den Nachforschungen von Franz Josef Gründges anfangs „Schützenhof“. 1936 stellte hier der Wirt Hermann van der Mee einen Antrag auf Erteilung einer Schankkonzession, die im Januar 1937 erteilt wurde. Das Lokal wurde auch in anderer Hinsicht Schauplatz eines Neuanfangs: Bereits im August 1945, zwei Monate nach Kriegsende, beriet man dort über die Wiederaufnahme des Spielbetriebs von Tura 09 zu beraten.

Quellen:

Borbeck-Lexikon: Franz Josef Gründges, Borbecker Bürger- und Verkehrsverein e.V. (BBVV) Borbeck-Lexikon: Franz Josef Gründges, Pabst Carl Heinrich Dr., 1. Vorsitzender des BBVV
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