Wüst, P. Johannes O.M.I.

Kein Oblate hat eine längere Spanne seines Lebens – beinahe die Hälfte - in Borbeck zugebracht. Gleichzeitig war er ein Mann der ersten Stunde. Die Rede ist von P. Johannes Wüst.

Johannes Wüst wurde am 20. November 1881 in Dornburg-Thalheim im Westerwald geboren. Er stammte aus einer kinderreichen Familie, die durch den Vater, der als Handlungsreisender über die Dörfer des Westerwalds zog, zu einigem Wohlstand gekommen war.

Der junge Johannes fand schon früh Aufnahme in der Missionsschule der deutschen Oblaten in St. Karl bei Valkenburg (Holland), wo er seine Gymnasialausbildung absolvierte. Am 15. August 1901 trat er in das Noviziat St. Gerlach bei Houthem (Holland) in der Nähe von St. Karl ein. Ein Jahr später legte er hier seine Ersten Gelübde ab und siedelte anschließend nach Hünfeld bei Fulda über. Im dortigen Scholastikat St. Bonifatius studierte er Philosophie und Theologie. 1903 legte er die Ewigen Gelübde ab und empfing am 7. Mai 1907 die Priesterweihe.

Im August 1908 schickten ihn die Oblaten nach Maria Engelport bei Treis-Karden an der Mosel, um sich dort in die Aufgaben eines Volksmissionars einzuarbeiten. Ein Jahr darauf findet man P. Johannes Wüst im Kloster der Oblaten bei Arnheim in Holland wieder. Von hier aus wurde er zu Missionen in Gemeinden des nahegelegenen Rheinlande und Ruhrgebiets gerufen.

Der Ausbruch des Weltkriegs setzte seinem missionarischen Wirken ein vorläufiges Ende. Während des Krieges übernahm er eine Kaplanstelle in Homberg am Niederrhein. Als 1917 das Oblatenkloster St. Maria Immaculata in Essen-Borbeck gegründet wurde, war P. Wüst gleich zur Stelle. Nach vier Jahren des Aufbaus in Borbeck wurde er von der Ordensleitung abgerufen, weil man den zupackenden Ordensmann für eine schwere Aufgabe brauchte – den Aufbau einer neuen Niederlassung auf dem Allerheiligenberg bei Niederlahnstein am Rhein. Hier blieb P. Wüst bis 1927, zuletzt als Superior des Klosters.

Die Erfahrungen, die P. Wüst in jener durch Inflation und politische Krisen geprägten schweren Zeit sammeln konnte, nahm er mit nach Borbeck, wo er als Rektor des Exerzitienhauses St. Augustinus eine neue Aufgabe übernahm. Ihm lag die Ausweitung und Belebung der Exerzitienbewegung im Ruhrgebiet besonders am Herzen. In der Haus-Chronik der Oblaten wird ihm attestiert, dass er „einer der tüchtigsten Initiatoren der Exerzitienbewegung“ gewesen sei.

Umso schmerzhafter traf den leidenschaftlichen Volksmissionar und Exerzitienleiter das allgemeine Verbot der Exerzitien durch die Nationalsozialisten. Der Chronist notierte unter dem 31. Mai 1941:

„Was schon einige Zeit befürchtet wurde, ist nun eingetreten: Das allgemeine Verbot der Exerzitien. Unsern Schmerz kann nur verstehen, wer ganz Mensch, ganz deutsch und ganz Christ zugleich ist. Gott segne unser Vaterland!“

Für die Jahre 1941 bis 1949 verfasste P. Wüst umfangreiche „Geschichtliche Aufzeichnungen über das Exerzitienhaus Essen“. Darin hielt er detailliert die Ereignisse jener Jahre fest. Es gelang ihm, das Haus vor dem Zugriff der Nazis zu bewahren. Seinem Einfallsreichtum und seiner Energie ist es zu verdanken, dass das Haus St. Augustinus als Zweigstelle des katholischen Krankenhauses Philippusstift in Essen-Borbeck alle anderen Umwidmungsversuche (Altenheim, Wohnstätte für Krupp-Arbeiter, Zweigstelle der Reichspost) abwehren konnte. Gegen die ständig zunehmenden Luftangriffe war aber auch P. Wüst machtlos. Am 25. Oktober 1944 wurde das Exerzitienhaus bei einem Bombenangriff schwer beschädigt. Die Minuten nach dem Angriff hat P. Wüst in seinen Aufzeichnungen anschaulich beschrieben:

„Noch zehn Minuten Aufruhr in der Luft, als ob das Weltende da wäre, und dann . . . Ruhe. Nur noch das Weinen der Verängstigten hörte ich. Ich kletterte über Trümmer ins Freie. Ich hätte aufjubeln mögen: Die alte Villa stand noch, wenigstens die Außenmauern – und auch der Kapellenflügel stand noch. Ich rannte weiter, und da versagten die Beine, das Herz stockte . . . Das Exerzitienhaus war ein gewaltiger Schutthaufen.“

Pater Wüst ließ sich davon nicht unterkriegen. Er organisierte mit Durchsetzungsvermögen und ungebrochener Tatkraft die notwendigen Aufräum- und Aufbauarbeiten. In erstaunlich kurzer Zeit – die Beschaffung des notwendigen Baumaterials stellte damals eine große Herausforderung dar – konnte das Exerzitienhaus seine Pforten wieder öffnen. Am 29. November 1949, abends um 18.00 Uhr, begann nach acht Jahren der erste Exerzitienkurs mit 25 Teilnehmerinnen aus den Müttervereinen der Dekanate Essen I und II. P. Wüst bilanzierte seinerzeit:

„Der Anfang ist gemacht. Gebe nun Gott der Herr seinen Segen. Nach all den Mühen und Opfern, nach all dem ausgestandenen Leid dürfen wir wohl mit dem Segen von oben rechnen."

P. Wüst blieben noch zehn Jahre für die Neubelebung der Exerzitienbewegung in Borbeck und im Ruhrgebiet. Am 12. Mai 1957 konnte er als Rektor und Ökonom von St. Augustinus sein Goldenes Priesterjubiläum feiern. Doch am 15. Oktober desselben Jahres musste er im Alter von 76 Jahren schweren Herzens sein Amt in jüngere Hände legen. Von 1957 bis 1960 war er als Schwesternseelsorger im Franziskuskrankenhaus in Essen-Frintrop tätig. Im Dezember 1959 musste er sich einer Gallenoperation unterziehen. Eine zweite Operation im Juli 1960 überlebte er nicht. Er starb in den frühen Morgenstunden des 22. Juli 1960 im Elisabethkrankenhaus in Essen.

Sein Mitbruder P. Paul Schepers O.M.I. schrieb in seinem Nachruf über ihn:

„Ein überaus arbeits- und mühevolles Leben im Dienste Gottes unserer Ordensprovinz liegt hinter dem lieben Verstorbenen. Seine Klugheit, sein Organisationstalent und sein immenser Fleiß trugen ihm viele Erfolge und einen großen Einfluss auf Menschen ein. Sicher hatte er auch seine Fehler. Energiegeladene Menschen können manchmal rau werden. Menschen, die ihr ganzes Leben gezwungen waren, mit jedem Pfennig zu rechnen, unterliegen manchmal der Versuchung der Engherzigkeit. P. Wüst hatte Wissen von seinen schwachen Seiten. Eine tiefe Frömmigkeit half ihm bei deren Bekämpfung. Er verdient als Priester wie als Ordensmann, als unermüdlicher Arbeiter im Weinberg des Herrn einen Ehrenplatz in der Geschichte unserer deutschen Ordensprovinz.“ (FJG)

Quelle: Totenzettel von P. Wüst und Nachruf von P. Paul Schepers O.M.I. aus dem Archiv der Oblaten in Hünfeld, übermittelt von Provinzialarchivar Dr. Klosterkamp.

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