Einer der frühen Lehrer des Gymnasiums Borbeck hat es im Verlauf seiner Karriere bis zum Professor und zum Mitglied des Deutschen Reichstages gebracht. Es handelt sich um Dr. Albert Lauscher, der dem Borbecker Kollegium von 1904 bis 1908 als Religionslehrer angehörte. Während seiner Zeit am Gymnasium Borbeck wohnte der wissenschaftliche Hilfslehrer und nachmalige Oberlehrer Dr. Albert Lauscher laut Borbecker Adressbuch von 1905 in der Friedensstraße 14 (heute: Hülsmannstraße).
Geboren wurde Dr. Lauscher am 18. Februar 1872 als Sohn des Fuhrmanns und Landwirts Mathias Hubert Lauscher und seiner Ehefrau Anna Catharina, geborene Schröder, in Roetgen (im „Tor zur Eifel“) bei Aachen. Nach Volksschule und Besuch des Kaiser-Wilhelm-Gymnasiums in Aachen (1887-1893) studierte er Theologie in Bonn, absolvierte das Priesterseminar und wurde am 10. August 1897 in Köln zum Priester geweiht. Danach wirkte er ab dem 28. August 1897 als Kaplan an St. Gertrud in Essen und vom 27. März 1900 bis 1904 an St. Gereon in Köln. 1902 promovierte er in Münster mit einer Arbeit über den Kölner Erzbischof Bruno II. (1132-1137) zum Dr. theol.
Vom 22. August 1904 bis 1908 war er – wie eingangs erwähnt – als Religionslehrer am Gymnasium Borbeck und vom 1. Oktober 1908 bis 1917 am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln tätig. Am 3. Mai 1917 wurde Dr. Lauscher zum Professor für Moraltheologie und Homiletik an der Universität Bonn berufen. Ein Jahr später, nach Kriegsende, verzichtete er auf die Weiterführung der akademischen Laufbahn und wechselte als Mitglied der Zentrumspartei in die Politik. In der Schul- und Kulturpolitik fand Dr. Lauscher sein politisches Betätigungsfeld.
Prof. Lauscher war Mitarbeiter von Fachzeitschriften und verfasste mehrere Bücher und Aufsätze: Friedrich. Nietzsche. Kritische Studien (1920), Die katholisch-theologische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 1818-1918 (1920) und der Akademiker und die neue Zeit (1922). In der Festschrift zum 10-jährigen Bestehen der Weimarer Republik (Titel „Nationale Arbeit. Das Zentrum und sein Wirken in der deutschen Republik“ (1929), erschien ein Beitrag von Lauscher mit dem Titel „Die Arbeit an der Weimarer Verfassung“. Darin kritisierte er die Novemberunruhen des Jahres 1918 in aller Schärfe. Es gebe in der geltenden christlichen Staatsphilosophie kein Recht des gewaltsamen Umsturzes. Gleichzeitig sprach er sich für die Nationalversammlung aus. Sie müsse kommen, weil es ohne sie keinen Frieden nach außen gebe und ohne sie kein Zustand denkbar sei, der die friedliche Entfaltung des Volkes, ein neues Deutschland sichere. Diese politische Position war sicher ein Grund dafür, dass Dr. Lauscher als Redner beim ersten Katholikentag nach dem Krieg auftrat, der im September 1920 im Zeichen der „Sammlung und Heerschau nach den Erschütterungen des Krieges und der Revolution“ in Essen stattfand (vgl. Beckmann).
Für das Zentrum saß Dr. Lauscher vom 26. Januar 1919 bis 1921 in der Preußischen Verfassungsgebenden Versammlung und danach bis 1933 im Preußischen Landtag. Als Abgeordneter der 62-köpfigen Fraktion der Zentrumspartei gehörte er vom 6. Juni 1920 bis Mai 1924 dem Deutschen Reichstag an. In allen Gremien machte er sich als schulpolitischer Experte einen Namen. Er gehörte zu den wenigen Abgeordneten seiner Partei, die bereit waren, weltliche Schulen anzuerkennen. Als kulturpolitischer Sprecher seiner Fraktion forderte in der Sitzung der Reichstagsfraktion des Zentrum am 21. Oktober 1920, die Partei müsse aus Gründen der Gerechtigkeit, der Gewissensfreiheit und des Elternrechts die Möglichkeit einräumen, weltliche Schulen einzurichten, so wie die Partei dies für die Bekenntnisschule fordere. Dr. Lauscher galt seinerzeit als führender Experte für die Schulpolitik Preußen. Davon zeugen seine Artikel „Schulpolitik in Preußen“ (In: Schule und Erziehung 13/1925) und „Der Preußische Staat und die höheren Schulen“ (In: Kommunalpolitische Blätter 19/1928).
Als Berater des damaligen Nuntius Eugenio Pacelli (der spätere Papst Pius XII.) wirkte Dr. Lauscher 1929 an der Formulierung des Konkordats zwischen Preußen und dem Heiligen Stuhl mit, der den Interessen von Staat und Kirche gleichermaßen entgegenkam und das Ende der Kulturkampfzeit signalisierte. Zu diesem Zeitpunkt stand er innerparteilich im Schatten des damaligen Fraktionsführers Joseph Heß (1878-1932), mit dem er in politischen Fragen nicht immer überein ging. Im Unterschied zu Dr. Lauscher war für Joseph Heß, der am 11. Mai 1930 einstimmig zum Parteivorsitzenden des Zentrums gewählt wurde, die uneingeschränkte politische Unabhängigkeit der Partei das oberste Ziel aller Zentrumspolitik. Joseph Heß war ein entschiedener Republikaner, der auch von den Sozialdemokraten wertgeschätzt wurde. Nach seinem plötzlichen Tod im Frühjahr 1932 übernahm Dr. Lauscher den Parteivorsitz. Als am 20. Juli 1932 Reichskanzler v. Papen mit einer Notverordnung von Reichspräsident Hindenburg die geschäftsführende Regierung Braun in Preußen absetzte, stieß er bei SPD und Zentrum auf wenig Widerstand.
Als Vorsitzender des Zentrums versuchte Dr. Lauscher die durch den „Preußenschlag“ ausgelöste innenpolitische Krise durch Verhandlungen mit den Nationalsozialisten zu beenden. Sein Vorgehen stieß innerhalb der Zentrumsfraktion und auch in der SPD auf erheblichen Widerstand. Man warf Dr. Lauscher vor, mit der Annäherung an die Nationalsozialisten mit alten Grundsätzen des Zentrums, wie sie sein Vorgänger ohne Wenn und Aber vertreten hatte, gebrochen zu haben. Wie viele andere glaubte Dr. Lauscher, Adolf Hitler und seine Partei politisch „zähmen“ zu können. Er gehörte zu den einflussreichen katholischen Befürwortern des „Reichskonkordats“, durch das von Papen den deutschen Katholizismus mit dem „Dritten Reich“ aussöhnen wollte.
Spätestens mit dem Ermächtigungsgesetz vom März 1933, der Auflösung der Zentrums Anfang Juli 1933 und der Unterzeichnung des Reichskonkordats Mitte Juli 1933 erwies sich der Weg der „Zähmung“ und „Versöhnung“ als Irrweg. Dr. Lauscher selbst wurde 1933 in den Ruhestand versetzt und im Juli 1934 von den Nationalsozialisten zwangsemeritiert. Für den „Priesterpolitiker“ bedeutete dies das Ende seiner akademischen und politischen Laufbahn. (vgl. Gregor Brand).
Nach der Auflösung des Zentrums gehörte Prof. Lauscher eine Zeitlang dem sogenannten „Rhöndorfer Exil“ an, indem sich ehemalige Zentrumspolitiker aus Bonn und Bad Godesberg zusammengefunden hatten. Zu diesem Kreis gehörte neben dem früheren Reichskanzler Wilhelm Marx auch Konrad Adenauer, zu dem Dr. Lauscher neben der politischen auch eine freundschaftliche Beziehung pflegte, wie sein persönlicher Brief an Adenauer am 27. Dezember 1943, wenige Monate vor seinem Tod, zum Ausdruck bringt: „(…) Es wäre in der Tat sehr schön, wenn wir recht bald wieder ein Stündchen beisammen sein könnten. Ganz ohne Stärkung braucht es darum doch nicht zu abzugehen: eine Tasse Kaffee mit Butter und Brot, vielleicht sogar mit einem Stück Kuchen, bleibt durchaus im Rahmen der Kriegslage und unserer Möglichkeiten. … So hoffen wir also auf ein baldiges Wiedersehen, und wir freuen uns darauf. Und nun nochmals unsere allerbesten Wünsche für 1944. Gebe Gott, dass es Ihre drei Söhne glücklich heimführe. (…)“. (vgl. Mensing).
Zu Lebzeiten erfuhr Dr. Lauscher einige Ehrungen. Am 1. August 1928 wurde er zum Päpstlichen Hausprälaten und am 22. Januar 1931 zum Ehrendomherrn in Köln ernannt. Er starb am 23. Mai 1944 in Bonn. (FJG)
Quellen:
Personalkarte aus dem Bestand des Historischen Archivs des Erzbistums Köln.
Christof Beckmann: Neu im Archiv: Fotos aus St. Dionysius und der Zufall. In: Borbecker Beiträge 2/1995, S. 77.
Christof Beckmann: Mehr zu … Dr. Albert Lauscher. In: Borbecker Beiträge 3/1995, S. 108.
Hans Peter Mensing: Einige Ergänzungen zur Dokumentation „Adenauer im Dritten Reich“, 1991.
Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland: Sozialismus-Katholische Soziallehre-Protestantische Sozialethik. Ein Handbuch. Hrsg. von Helga Grebing. Essen, Klartext Verlag 2000.
Georg May: Ludwig Kaas. Der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz, Bd. 2, Amsterdam, Verlag B.R. Grüner, 1982 (darin ein Kapitel über Dr. Lauscher).
Gregor Brand: Albert Lauscher. Priester, Lehrer und Politiker aus Roetgen. In: Kinder der Eifel. Hrsg. von Hermann Simon. Norderstedt, BoD-Books on Demand, 2018.
Stephan Eisel: Konrad Adenauer und Bonn. In: Historisch-Politische Mitteilungen, hrsg. von Thomas Brechenmacher u.a.. Archiv für Christlich-Demokratische Politik 24 (2017).
Andreas Burtscheidt: Albert Lauscher. Katholischer Theologie (1872-1944). http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten (Portal Rheinische Geschichte).
Herbert Hömig: Joseph Heß (1878-1932). Ein Staatsmann aus dem Unitas-Verband. In: Unitas 1994, Nr.5, 136-138.
Ulrich Schuppener: In Roetgen geboren – acht Prominenten-Portäts (2013).
Bild unten aus: Nationale Arbeit. Das Zentrum und sein Wirken in der deutschen Republik, hg. von Karl Anton Schulte, Wilhelm Andermann Verlag, Berlin W 15 und Leipzig, Alleinvertrieb für das Deutsche Reich: Verlag Carl Behrendt, Essen, 1929