Eines der wertvollsten historischen Ausstattungsstücke der Borbecker Mutterkirche St. Dionysius ist das aus Baumberger Sandstein gearbeitete und in den 1950er Jahren restaurierte Grabdenkmal für Elisabeth von Manderscheid und Blankenheim (1540-1598): „Gar zierlich und artig ausgehauen“ (Seemann, Äbtissinnenkatalog, S. 20), zeigt es „ein Mittelfeld zwischen zwei kanellierten Säulen, die einen reichen Architrav mit Muschelaufsatz und drei Statuetten tragen, mit der Darstellung der vor einem Kruzifix knieenden Äbtissin“ – so beschreibt 1893 Paul Clemen das Epitaph der 1598 verstorbenen Fürstäbtissin von Essen, (Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, hg. im Auftr. des Provinzialverbandes von Paul Clemen, II. Bd.,, III. Die Kunstdenkmäler des Kreises Essen, Düsseldorf 1893, S. 81f.).
Ursprünglich hing das Epitaph – rund 120 cm hoch und 100 cm breit - in der 1861 abgebrochenen alten Dionysius-Kirche gegenüber dem Marienaltar, vor dem sich die Äbtissin bestatten ließ. Nach den nach schweren Kriegszerstörungen der 1863 neu errichteten Kirche hängt es heute an der nördlichen Wand der Anbetungskapelle.
Das Denkmal zeigt die Äbtissin des freiweltlichen Stiftes in der typischen Tracht ihres Standes, mit langem Mantel, einem spanischen Mühlsteinkragen und einer kapuzenartigen Haube. Sie schaut mit gefalteten Händen auf das vor ihr ragende Kruzifix, über ihr ein Schild mit der Inschrift „in te domine confido, non erubescam quoniam speravi in te“ – „Auf dich, o Herr, vertraue ich, ich werde nicht (vor Scham) erröten müssen, weil ich auf dich hoffe.“
Die Inschrift in der mit Rollwerk, Fruchtgehängen und Masken verzierten Sockelzone lautet: „Jm Jahr 1598 Sambstag de 2 Maij ist die / Hochwürdige und Wolgeborne Fürstinne / und Frauwe Elizabeth des Kay(serlichen) frei welt/lichen stifft Essen Abtisin geborne Graffin / zue Manderscheidt und Blanckenheim in / den herrn seliglich entschlaffen ihres al/ters acht und fumffzig iahr der / selen Gott gnedig.“ Bei den Initialen H G M G, die das Spruchband über dem Kreuzesstamm zieren, handelt es sich möglicherweise um die abgekürzte Fürbitte „Herr gib mir Gnade“. Der Muschelgiebel mit Roll- und Beschlagwerk zeigt Figuren der Gottesmutter mit Kind sowie links und rechts die Verkörperungen zweier Tugenden.
Nach Angaben des Borbecker Lokalhistorikers Franz Goebel soll das 1598/99 geschaffene Epitaph durch ihren Bruder Graf Hermann von Manderscheid-Blankenheim bei dem Münsteraner Bildhauer Gerdt Kellinger in Auftrag gegeben worden sein.
Elisabeth II. von Manderscheid und Blankenstein war sechs Tage nach ihrem Tod am 2. Mai 1598 durch den Borbecker Pfarrer Conrad Spaer „mit großem Gefolge“ in die Pfarrkirche überführt und dort bestattet worden. Sie starb mit 58 Jahre und hatte fast zehn Jahre zuvor das Amt der Äbtissin in Essen übernommen – als eine von vielen Stiftsdamen und vier Fürstäbtissinen, die aus der in der Eifel ansässigen Familie stammten.
Seit dem 12. Jahrhundert entwickelten sich die Herren von Manderscheid als Vögte der Abtei Echternach und Lehnsleute der Grafen von Luxemburg zu einer der mächtigsten Familien der Region und bildeten mehrere Zweige aus. 1461 in den Reichsgrafenstand erhoben, betrieben sie eine geschickte Heiratspolitik, waren Parteigänger und Gegner des Erzbischofs von Trier, kontrollierten bald weite Teile der Eifel, wurden Lehnsträger von Kurköln, Kurtrier, Jülich, Lothringen und Luxemburg und kamen durch die aufblühende Eisenindustrie zu Wohlstand.
Elisabeth von Manderscheid-Blankenheim stammte aus einem kinderreichen Familienzweig. Wie in früheren Generationen stiegen sie auch in viele kirchliche Ämter auf, darunter ihr Bruder Johann (1538-1592) als Fürstbischof von Straßburg (1569-92), ihre Schwester Margarethe Elisabeth wurde Äbtissin zu Elten und Vreden (1572-1603), gleichzeitig in Gerresheim (seit 1586), Freckenhorst (seit 1591), in Schwarz-Rheindorf (seit etwa 1600) und 1598 ihre spätere Nachfolgerin in Essen, Bruder Eberhard (+1610) wurde Probst zu St. Paulin und Domkustos zu Straßburg. Gemeinsam mit ihrer Schwester war Elisabeth bereits als Kind in Essen „präbendiert“ und 1562 zur Pröpstin und obersten Schultin des Oberhofs Nünning bestellt worden.
In Essen wirkten sich zu dieser Zeit die Streitigkeiten um die Konfession handfest aus: Der Rat der Stadt Essen, der sich inzwischen als unabhängiger Landesherr betrachtete, hatte 1561 die Reformation eingeführt. Zwei Jahre später wurde die Essener Marktkirche evangelisch, 1568 verklagte die regierende Äbtissin die Stadt beim Reichskammergericht. 1578 wurden Schloss Borbeck und die Bauerschaft von kurkölnischen Truppen eingeäschert und geplündert, 1584 erneut, 1588 verwüsteten die Spanier die Borbecker Mark im Niederländisch-Spanischen Krieg, drangen in die Kirche ein und raubten sie aus.
Erst nach fünf Jahren gingen in diesem Jahr die sogenannten „Kölner Wirren“ und damit der „Truchsessische Krieg“ gewaltsam zu Ende. Der Versuch, das Kölner Erzbistum in ein weltliches Fürstentum umzuwandeln und die Wahl der Konfession freizustellen, war gescheitert. Die katholischen Kräfte wurden erheblich gestärkt, doch hatten die heftigen kriegerische Auseinandersetzungen, an denen viele Parteien beteiligt waren, das Rheinland verwüstet.
1588 wird nun Elisabeth von Manderscheid-Blankenheim zur Äbtissin gewählt – der Päpstliche Nuntius Ottavio Wirlo Frangipani hatte sich zuvor von ihrer „treu katholischen Gesinnung“ überzeugt. Eine ihrer ersten Aufgaben, zu der sie sich schon bei ihrer Wahl 1588 verpflichten musste, wird der Wiederaufbau des Borbecker Schlosses. 1590 baut sie es mit Wehranlage und Rundturm zu einer Burg aus, macht es 1592 ganz zu ihrer Residenz, installiert dort 1593 die Fürstliche Kanzlei und verbringt nun als einzige der Essener Fürstäbtissinnen dort mehr als die Hälfte ihrer Regierungszeit.
Denn die Zeiten sind weiter unsicher: Als 1589 der Herzog von Parma Rheinberg belagert, werden seine Truppen durch Hauptmann Martin Schenk von Nideggen auf der Lipperheide geschlagen, der Herzog zieht sich wieder in seine Schanzen im Flussdelta des Rheins in den Niederlanden zurück. Als 1591 die Geusen, wie sich die niederländischen Freiheitskämpfer während des Achtzigjährigen Krieges (1568–1648) nannten, in Borbeck einfallen, begnügen sie sich mit einer Beute von 500 Schweinen.
Wie ihre Vorgängerin Elisabeth von Sayn (1578 - 5. März 1588) regiert Elisabeth II. von Manderscheid-Blankenheim mit harter Hand, spielt dabei aber eine sehr eigenständige Rolle in der Frage des grassierenden Hexenwahns, der zahlreiche Todesopfer etwa im benachbarten Vest Recklinghausen und im Stift Rellinghausen fordert. Als sich 18 angeklagte Männer und Frauen aus der Pfarrei St. Dionysius am 30. Mai 1589 freiwillig der Wasserprobe in der Emscher stellen, lässt sich die gerade gewählte Fürstäbtissin die während der peinlichen Befragung auf der Folter angefertigten Verhörprotokolle vorlegen und beendet den Prozess augenblicklich.
Mit Rückendeckung durch ein ausführliches Rechtsgutachten entlässt sie alle Beschuldigten mit leichten Strafen, die pro forma verhängt werden. Nachdem sie ihre Residenz in Borbeck bezogen hat, verfolgt sie nun alle, die andere denunzieren, „Zauberer" oder „Hexe" nennen und bestraft sie mit hohen Geldstrafen. Weder in Borbeck noch im ganzen Essener Stift muss ein Opfer des Hexenwahns sein Leben lassen. Trotzdem scheut sich die Fürstin nicht, auch die Todesstrafe zu verhängen: Ein des Raubes und Mordes beschuldigter H. Prein wird in Borbeck vor dem Kirchhof vor Gericht gestellt und an Ort und Stelle hingerichtet.
Die Neuordnung der Verhältnisse in der Mark durch die 1589 vorgenommene Neuschrift der alten Markenkur gestattet der Regentin größeren Einfluss auf das Borbecker Hölting. Doch sie wirkt auch auf das kirchlich-religiöse und christlich-sittliche Verhalten der Borbecker Geistlichen und der einfachen Menschen in den Bauerschaften des Borbecker Quartiers. Harte Strafen werden gegen die Lockerung von Sitte und Moral verhängt: So erhalten Ehebrecher Kerkerstrafen, die Zeugung von außerehelichen Kindern wird empfindlich gestraft. Auch vor dem Klerus macht sie nicht Halt: Den Essener Kanonikus Henricus Lychius, der sich hinter ihrem Rücken in eine Vikarie an der Dionysius-Kirche hatte einsetzen lassen, entfernt sie 1596 in kürzester Zeit wieder aus dieser Stelle – er brachte eine Wirtschafterin mit, von der er sechs Kinder hatte.
Die von Elisabeth während der Sonntagsgottesdienste genutzte Fürstinnenloge im Chor am Hochaltar in der Pfarrkirche St. Dionysius vertauscht sie wegen den unsicheren Zeiten mit einer im Burghaus eingerichteten eigenen Kapelle, in der Pastor und Vikar abwechselnd sonntags die Messe lesen. In ihrer Regierung sucht sie den konfessionellen Besitzstand im Stift zu wahren und setzt in Stift und Stadt ihren Willen durch – wenn es sein muss, mit Gewalt. Dazu bedient sich auch der Hilfe ihrer Untertanen: So dringen Borbecker Schützen, deren Vogelschießen vor 1550 zum ersten Mal erwähnt wird, mit bewaffneten Stiftsbauern im Auftrag der Äbtissin 1592 in das benachbarte Stift Rellinghausen ein, um zwei dort Eingesessene in den Kerker nach Borbeck zu überführen.
1594 stiftet sie zwei Jahrmärkte, die am Sophientag (12. Mai) und am Fest des Hauptheiligen Dionysius (8. Oktober) auf dem Weidkamp in Borbeck abgehalten werden. Als sie 1598 stirbt, werden ihre sterblichen Überreste in feierlichem Kondukt mit dem Essener Kapitel, dem landsässigen Adel, hohen Würdenträgern des Stifts und unter allgemeiner Anteilnahme der Borbecker Bevölkerung durch den Borbecker Pastor Spoer aus der Burg zur Dionysius-Kirche überführt. Dort wird sie als einzige Essener Äbtissin vor dem Marienaltar der Borbecker Kirche beigesetzt.
Pastor Spoer, der aus Hattingen stammte, hatte jeden zweiten oder dritten Sonntag bei der sittenstrengen Äbtissin auf Burg Borbeck verbracht. Offensichtlich scheint er es nach ihrem Tod mit seiner Pflicht zu Zölibat und Keuschheit nicht so ernst genommen zu haben. Am 6. November 1601 notiert die lateinisch geschriebene kleine Pfarrchronik aus dem Borbecker Pfarrarchiv, er habe ein neues Haus für seine Geliebte errichten lassen und für dessen Finanzierung zu einem opulenten Benefiz-Essen mit Schauspielern, Clowns und Musikanten in der Pfarrkirche aufgerufen. Spoer soll sich später der Reformation zugewandt und nach Mülheim-Ruhr gegangen sein, wo die neue Lehre festen Fuß gefasst hatte.
In der Annahme, dass die Fürstäbtissin selbst dem alten Glauben untreu geworden sei, hieß und heißt es immer noch an vielen Stellen, man habe ihr Grabdenkmal beim Neubau der Kirche 1862/63 deswegen so erhöht an die Seitenwand des Chores einmauern lassen, damit es so den Blicken der Gläubigen entzogen ist. Geschichte strickt eben auch ihre eigenen Legenden .... (CB)
Quellen: F. Goebel, 800 Jahre St.Dionysius Borbeck. In: MÜNSTER a.H. 20 (1967), 127-153; A. Koerner, Elisabeth von Manderscheid-Blankenheim und ihr Epitaph, in: Borbecker Beiträge 25. Jg. 3/2009, 79-86.