Abschied von der BORBECKER

29.08.2018

Es war ein bewegender Abschied. Nach fast 70 Jahren im Dienst an den Menschen und dem Gemeinwohl müssen die BORBECKER NACHRICHTEN zum 31. August 2018 die Segel streichen. Vor der letzten Ausgabe luden der Kultur-Historische Verein Borbeck e.V. und der Bürger- und Verkehrsverein Borbeck e.V. gemeinsam am Dienstag, 28. August, zum „Redaktionsschluss“. Beim Abschied und Dank fanden sich rund 180 Menschen in der Vorhalle des Bahnhofs Borbeck ein. ...

 
Abschied von der BORBECKER

BORBECK. Es war ein bewegender Abschied. Nach fast 70 Jahren im Dienst an den Menschen und dem Gemeinwohl müssen die BORBECKER NACHRICHTEN zum 31. August 2018 die Segel streichen. Vor der letzten Ausgabe luden der Kultur-Historische Verein Borbeck e.V. und der Bürger- und Verkehrsverein Borbeck e.V. gemeinsam am Dienstag, 28. August, zum „Redaktionsschluss“. Zum Abschied und Dank fanden sich rund 180 Menschen in der Vorhalle des Bahnhofs Borbeck ein.

Bei den Standing Ovations für die Mitglieder der Redaktion und die freien Mitarbeiter war sie ganz zu spüren: Die große Dankbarkeit, das tiefe Vertrauen, die feste, anhängliche Verbundenheit mit einem außergewöhnlichen Medium, das Generationen begleitete, das vernetzte, informierte, kommentierte. Mit einer hohen Verlässlichkeit, einer eigenständigen, klaren, aber immer den Menschen zugewandten Haltung, einem von Herausgeber Walter Wimmer geprägten Profil von echtem Hand- und Kopfwerk, das in großer Nähe zu den Dingen des Alltags stand, das aber weit mehr erreichte: Einen Status, der hoch über allen Debatten um „Lügenpresse“, Käuflichkeit, fehlende mediale Unabhängigkeit oder mangelndes journalistisches Ethos stand. Und weit über allen beredten Erwägungen um die Entwicklung der Branche, der Technik oder der Rendite. Damit waren die Leser die Zeitung selbst – ein wechselseitiges Verhältnis auf Augenhöhe, das sich wohl die meisten Medien nur wünschen können.

Zahlreiche Redebeiträge

Das machten zahlreiche Redebeiträge deutlich: Der aufmerksame Blick für das vermeintlich Kleine oder Unbedeutende in der Nachbarschaft, die außerordentliche "Kultur der Wertschätzung" für den Einsatz im gelebten Miteinander, für das in Borbeck besonders ausgeprägte ehrenamtliche Engagement, für die sozialen und kulturellen Leistungen im direkten Lebensumfeld, blieben der Redaktion nach der Übernahme durch den WAZ-Konzern erhalten – auch über den Tod von Walter Wimmer hinaus. Bei allen Emotionen: Ganz offensichtlich hatten auch die Leser mit einem weiter voranschreitenden langsamen Sterben ihrer Zeitung gerechnet. Die geschwundenen redaktionellen Seiten und die ausbleibende Werbung verdankten sich dem Druck durch die werbestrotzende kostenlose Verteilzeitung, keine Werbeaktionen, keine Online-Angebote, keine öffentliche Präsenz über die wöchentlichen Druckausgabe hinaus – all dies musste Konsequenzen haben.

Wo die Transparenz für die unternehmerische Entscheidung geblieben sei, warum ausgerechnet die Ferienzeit zu dem überfallartig-beiläufigen Verkündigen für das endgültige Aus genutzt wurde? Ob wirklich alles versucht worden ist, ob wirklich der wirtschaftliche Druck maßgebend war oder ob schlicht nur ein schnelles Ende durchexerziert werden sollte, weil das Profil der so „aus der Zeit gefallenen“ Zeitung nicht ins Portefeuille und in die durch einige Riesenbaustellen gebeutelte Konzernstrategie passte – all dem mussten sich Geschäftsführer Thomas Kloß und Frank Hager von der Funke Medien GmbH NRW stellen. Sie waren von den Veranstaltern eingeladen worden und hatten am Morgen überraschend zugesagt. Ihre Anwesenheit nötige allen Respekt ab, so die Organisatoren – gleichwohl blieben ihnen heftige Vorwürfe nicht erspart.

Argumente der Funke Mediengruppe

Der Entscheidung sei eine lange Diskussion vorangegangen, so Thomas Kloß. Man habe ein „klasse gemachtes journalistisches Produkt“ geliefert, doch seien die wirtschaftlichen Daten zuletzt nicht mehr tragbar gewesen: Er deutete auf den dramatischen Abonnentenrückgang von 80 Prozent in den letzten beiden Jahrzehnten, auf sechsstellige Beträge, die jährlich zugeschossen worden seien, auf den Rückgang der Werbekunden, auf den Druck durch die Online-Medien, auf die alle Blattmacher weltweit beschäftigende Frage, wie man in diesen Zeiten einen guten Journalismus finanzieren könne. „Das war hier auf Dauer nicht wirtschaftlich haltbar“, erklärte Kloß. Der Erhalt der BORBECKER sei nicht mehr zu rechtfertigen gewesen.

Doch er gehe davon aus, dass er an dem Abend „nicht viel zu gewinnen habe“. Und in der Tat blieben kritische Nachfragen nicht aus: Es ging um offene Briefe, die ohne Reaktion geblieben seien, um die hauptamtlichen und freien Mitarbeiter und um ihre Zukunft, um mangelnde Initiativen zur Stärkung der BORBECKER, um ausgebliebene Online-Präsenz und digitale Angebote, um die Erhaltung des umfänglichen Archivs, vor allem aber um die selbstgeschaffene Konkurrenz durch die kostenlosen Verteilzeitungen.

In den Fragen nach den Mitarbeitern sei man in Gesprächen, so Kloß, Lokal- und Verteilzeitung hätten „gut miteinander funktioniert“. Frank Hager ergänzte, die Zeitung werde mit den Ausgaben seit 1949 digitalisiert und öffentlich zur Verfügung stehen. Auf Fragen nach einem „Ersatz“ blieb Kloß einsilbig: Mit der WAZ-Stadtteilausgabe sei man in Gesprächen, doch passe eine intensivere lokale Berichterstattung aus Borbeck bei 50 anderen Stadtteilen nicht ins Konzept. Damit war schlussendlich klar, was von vorneherein klar war: Der eigene Zeitungstitel in Essens größtem Stadtteil wird abgewickelt, die Zeitung beerdigt – das war´s.

Wie bestattet man eine Zeitung?

Dieser Einsicht und Stimmung konnte sich an diesem denkwürdigen Abend im Borbecker Bahnhof wohl kaum jemand entziehen: Im Kommen und Gehen der Bahnfahrer gingen die BORBECKER NACHRICHTEN ihren letzten Gang. Eine lebende Legende in der Stadt- und Zeitungslandschaft. Stellvertretend für den ganzen Stadtteil, den die Zeitung selbst nachhaltig mitgeprägt hat, nahmen die Anwesenden einen würdigen Abschied.

Er werde Walter Wimmer an dessen Grab für ein großes Geschenk danken – „traurig darüber, dass wir sein Kind nicht retten konnten“, fasste Moderator Franz Josef Gründges den vielstimmigen Dank zahlreicher Äußerungen aus dem Plenum zusammen. Das Ende einer besonderen Liebesgeschichte: Viele griffen beim Streuselkuchen zu und trugen sich in ein dickes Erinnerungsbuch für die Redaktion ein. Am Freitag ist dort der letzte Arbeitstag. Auch wenn es nun redaktionell dort nach der letzten Ausgabe einer außergewöhnlichen Zeitung nichts mehr zu tun geben wird: Noch viele wollen dann wenigstens die Gelegenheit nutzen, ihren Dank ganz persönlich zu überbringen.

CB

 

Statement von Jürgen Becker, Vorsitzender des Kultur-Historischen Vereins Borbeck:

Borbecker Nachrichten werden nach 69 Jahren eingestellt

Man musste damit rechnen. Im Jahr 2000 hatte Walter Wimmer kapituliert. Er übergab die Borbecker Nachrichten und die Werdener Nachrichten schweren Herzens an die WAZ-Mediengruppe. Die Auflage der Borbecker Nachrichten war vom Jahr 2000, als sie noch über 12.000 betrug, jährlich kontinuierlich bis auf etwas mehr als 2.000 Exemplare wöchentlich zurückgegangen.

Bei den Borbecker Nachrichten handelt es sich um eine der wenigen lokalen Wochenzeitungen, die noch verkauft und nicht kostenlos abgegeben werden. Heute sind Zeitungen wie zum Beispiel der Borbeck Kurier "in", die für die Leser zwar kostenlos sind, aber wegen ihrer starken Werbebeilagen und Inserate trotzdem lukrativ sind. Und darauf setzt die Funke-Gruppe, was aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nachvollziehbar ist.

Auf der Strecke bleibt unsere Heimatzeitung mit Themen und Hintergrund­informationen, die wir sehr vermissen werden. An dieser Stelle wollen wir den Redakteuren danken, die uns in all den Jahren mit lokalen Berichten aus der Kultur, der Geschichte und dem Sport gewissenhaft und ausführlich berichteten. Wir werden an jedem Freitag die Borbecker Nachrichten im Briefkasten vermissen.

Bürgerinnen und Bürger übernehmen ehrenamtliche Aufgaben und Vereine und Initiativen unterstützen finanziell kulturelle und soziale Aktivitäten. Da wir im Borbecker Bahnhof sind, möchte ich als Beispiel den Verein Zug um Zug nennen, der täglich an mindestens 30 Kinder kostenlos Frühstück gibt. Und da ist die Funke-Gruppe nicht bereit, einen kulturellen Beitrag zu leisten, um so eine wichtige Lokalzeitung wie die Borbecker Nachrichten aufrechtzuerhalten?

Hier stellt sich nun auch die Frage der sozialen Verantwortung, welche die Funke-Gruppe auf ihre Art beantwortet hat. Mit ihrer Entscheidung für „kostenlose", aber durch starke Werbung lukrative Zeitungen hatte sie schon vor Jahren die Borbecker Nachrichten quasi zum Sterben verurteilt. Jetzt wurde ein Schlussstrich vollzogen.

Muss es wirklich das Ende der Borbecker Geschichte im Zeitungswesen der WAZ-Gruppe für Borbeck sein? Oder gibt es Möglichkeiten, mit der die Funke-Gruppe und die Borbecker Bürger leben können? Ist es zum Beispiel möglich, einmal wöchentlich für die Stadtteile - und nicht nur für Borbeck - inhaltlich mehr als sogenanntes Fast Food anzubieten, also auch geschichtliche Themen und Zusammenhänge anzupacken? Uber Zeitgeschehen zu berichten ist natürlich wichtig, aber man darf erlebte Geschichte nicht ignorieren.

Bei dem hierfür erforderlichen Personal könnte man auf die erfahrenen Journalisten der bisherigen Borbecker Nachrichten zurückgreifen. Sollte es wider Erwarten nicht zu einem Miteinander und damit zu einem guten Ergebnis kommen, so wird es für uns Borbecker heißen:

Wie gehen wir mit der neuen Situation um?

Es ändert sich viel auf allen Gebieten. Wir wissen nicht, wie zum Beispiel Zeitungen in einigen Jahren aussehen werden. Ob es sie in der heutigen Ausführung überhaupt noch gibt. Oder ob die vielen Werbebeilagen, die heute die finanzielle Grundlage für kostenlose Zeitungen sind, aus Umweltschutzgründen dann noch erlaubt sind; denn es steht fest, dass hierfür täglich tausende Hektar Wald in der Welt geopfert werden. Vielleicht bekommen wir dann alle Informationen über das Internet oder von ganz neuen Medien und unsere täglichen und wöchentlichen Zeitungen verschwinden von der Bildfläche.

Wir erleben es in den letzten Jahren immer wieder, dass sich Gesangvereine und Schützenvereine zusammenschließen müssen, um zu überleben, weil sie keine neuen Mitglieder mehr bekommen..

Bei uns im Kultur-Historischen Verein Borbeck sieht es nicht anders aus. Wir brauchen unbedingt jüngere Mitglieder, um zum Beispiel die Heimatkunde am Steenkamp Hof für Schulkinder auch im nächsten Jahr ermöglichen zu können. Gern sind unsere ehrenamtlichen Damen und Herren bereit, mit anzupacken, aber aus Altersgründen brauchen sie dringend Unterstützung. Oder sind Sie der Ansicht, dass man auf solche Aktivitäten verzichten kann?

Wie wir uns die Zukunft für kulturelle Arbeit vorstellen, müssen wir hier in Borbeck gemeinsam mit anderen Vereinen und den Medien diskutieren und dann auch Entscheidungen treffen. Es ist natürlich schade, dass von der WAZ trotz Einladung Herr Stenglein, der bei den Borbecker Nachrichten unter Walter Wimmer gelernt hatte, nicht gekommen ist.

Den Kopf in den Sand stecken und auf Wunder warten ist keine Alternative. Gerade in der jetzigen Situation ist es wichtig, klare Ziele zu entwickeln und auch umzusetzen. Glück auf !!!



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